Über falsch verstandene FEINE HILFEN und das SCHRUMPFEN DER KOMFORTZONE

Über falsch verstandene FEINE HILFEN und das SCHRUMPFEN DER KOMFORTZONE

Über falsch verstandene FEINE HILFEN und das SCHRUMPFEN DER KOMFORTZONE

Der Reiter soll sein Pferd mit unsichtbaren Hilfen reiten, das ist wohl das Idealbild einer jeden Reitweise. In den sozialen Netzwerken wird jeder in der Luft zerrissen, der es auch nur ansatzweise nicht so beherrscht und es wagt, eine Darbietung seiner Kunst in Bildern online zu stellen.

Die Realität in der Welt der Nicht-Profi-Reiterinnen sieht daher oft so aus: Die Reiterin möchte ausschließlich feine Hilfen geben. Das Pferd weiß das und befindet es nicht für nötig auf diese zu reagieren. Die Reiterin probiert es noch einmal. Eventuell wird das Pferd abweisend. Die Reiterin ist verunsichert. Schließlich muss es ihr Fehler sein dass das Pferd nicht wunschgemäß reagiert hat. Also traut sie sich noch weniger etwas zu machen. Die Komfortzone schrumpft.

Was ist hier passiert? Tatsächlich hat die Reiterin etwas falsch gemacht. Abgesehen davon, dass sie eventuell tatsächlich keine korrekten Hilfen gegeben hat, hat sie zugelassen, dass ihr Pferd ihre Hilfen ignoriert. Somit hat sie es selbst zum Ungehorsam erzogen.

Folgen auf das Ausbleiben einer Reaktion auf die Reiterhilfen keine Konsequenzen – also eine Verstärkung der korrekten Hilfe – wird das Pferd beim nächsten Versuch noch weniger darauf reagieren. Es hat ja gelernt dass es das nicht tun muss.

Konsequenz scheint ein großes Problem zu sein. Die Reiterinnen wollen nicht grob sein und sie befürchten, ihr Pferd würde sie nicht mehr mögen, höre ich immer wieder. Aber genau das ist die Falle. Auch in der Herde rangniedrige Pferde werden ihrem Menschen gegenüber ranghoch wenn dieser sich nicht durchzusetzen vermag. Pferde untereinander legen die Rangfolge auch nicht mit Streicheln fest. Manchmal fragen sie uns: Bist Du wirklich bereit ALLES zu tun um zu bekommen, wonach Du mich fragst? Wenn die Antwort ein klares JA ist reichen feine Hilfen. Wenn es ein inneres Zögern gibt definitiv nicht.

Einem Pferd, das die Hilfe nicht kennt oder nicht versteht, muss man sie ruhig erklären. Einem Pferd, das die Hilfe kennt und versteht aber einfach nicht ausführt, muss man sie verstärken. Immer wieder nehme ich ein Pferd meiner Schüler in die Hand und das Pferd macht sofort, was es die ganze Zeit nicht tun wollte. Auf ihre Frage, was ich anders gemacht habe (denn von außen betrachtet habe ich nichts anders gemacht) antworte ich: Ich habe die Einstellung „Ich habe eine Gerte in der Hand und Null Hemmungen sie einzusetzen“. Ich habe wirklich Null Hemmungen sie einzusetzen aber tun muss ich es selten. Denn die Pferde antworten mir „okay okay, halt das Ding still, sag mir was Du willst, ich mach das für Dich“.

Es sollte das Anliegen des Pferdes sein, dass wir feine Hilfen geben. Nicht unser. Wir sollten aber jederzeit bereit sein, den Druck unserer Hilfen zu beenden, wenn das Pferd uns seine Bereitschaft zur Mitarbeit signalisiert. Mit jederzeit meine ich eine Reaktionsgeschwindigkeit als hätten wir uns an einer heißen Herdplatte verbrannt.

Mag das Pferd mich nun danach weniger? Ganz das Gegenteil ist der Fall. Die Pferde lieben es gesehen zu werden. Auch in ihren Hemmungen, Hinterfragungen und Ausweichmanövern. Sie lieben es wenn es jemand wirklich ernst meint mit ihnen und schauen zu einem solchen Menschen herauf. Einen Leckerlispender hingegen schätzen sie gering und sagen ihm wo es lang geht. Mit einem ranghohen Menschen kann man tolle Dinge erleben, einen rangniedrigen kann man nur herumschubsen. Was wertvoller ist möge die Leserin selbst entscheiden 😉

Selbstverständlich wird nicht immer die erste Reaktion auf das Gesehenwerden im Sich-Entziehen Herzchen in den Augen des Pferdes sein. Natürlich werden sie uns beeindrucken und von unserem Vorhaben abbringen wollen. Wer gibt schon immer gleich freiwillig 100 % wenn man versuchen kann bequeme Kompromisse einzugehen?

Was ist denn jetzt die Lösung des Problems? Interessant ist, dass wenn die Reiterin nun ohne die passende innere Einstellung konsequent spielt und sagen wir mal „deutlicher wird“ indem sie tatsächlich z.B. die Gerte mehr einsetzt, dies meist einfach am Pferd abprallt. Auch wenn man denken könnte, der Gerteneinsatz hätte weh getan, scheinen die Pferde zu sagen: Das tust DU nie wieder, das hat DIR mehr weh getan als mir.

Auch ist es nicht wahr, dass Perfektionisierung der Hilfen des Rätsels Lösung ist bevor man konsequent werden darf. Eine korrekte Hilfe beinhaltet den der Situation angemessenen Grad an Konsequenz. Ein Pferd kann allerdings wenn es möchte noch mit recht unpräzisen Hilfen für uns tun, wonach wir fragen. Man kann das mal bewusst probieren. Pferde, die gewohnt sind präzise und hochkonzentriert in einer guten Beziehung zu arbeiten scheinen sogar zu sagen „Hey, alles in Ordnung mit Dir? DU bist gar nicht bei der Sache“.

Ein anderes Beispiel ist wieder ein Pferd, das ich von einem Schüler in der Bodenarbeit übernehme, weil es einfach nicht macht, was es soll obwohl sich sein Mensch super präzise ausdrückt. Oft habe ich dann die Einstellung „Ich habe eine Gerte in der Hand und kann damit leider nur grobmotorisch umgehen“. Auch da heißt es „okay okay, halt das Ding still, ich weiß genau was gemeint ist“.

Ob eine Hilfe grob, fein, angemessen, konsequent oder unkonsequent ist ist nur in der Situation selbst zu beurteilen. Wie immer macht die Dosis das Gift und es bedarf viel Erfahrung dies einzuschätzen.

Traut Euch, Fehler zu machen. Der Meister ist viel öfter gescheitert als der Anfänger es je versucht hat. Und das Pferd wird sie Euch am allerwenigsten übel nehmen.

 

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